DHZ-Artikel (Ausgabe 7/2002)
WM-Vorschau von Uli Meyer
Mehr Glück im zehnten Anlauf?
Am Sonntag gehts los. Dann fällt in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur der
Startschuss zur 10. Weltmeisterschaft der Herren. Mit 16 Mannschaften ist es das größte Turnier seiner Art. Und Deutschland gehört zu den aussichtsreichsten Anwärtern, am 9. März ganz oben zu stehen. Es wäre das erste Mal.
Mit schöner Regelmäßigkeit alle zehn Jahre - und zwar jene Jahre mit einer 2 am
Ende - schlägt das Erfolgspendel für den Deutschen Hockey-Bund im männlichen
Erwachsenenbereich höher als sonst nach oben aus. 1972 war es die olympische
Goldmedaille in München, 1982 standen Deutschlands Herren zum ersten und
einzigen Mal im (dann verlorenen) Endspiel einer Weltmeisterschaft, 1992 folgte
der zweite Olympiasieg.
Ein gutes Omen für 2002? Mag sein, aber vielleicht ist dieser Rhythmus auch nur
ein purer Zufall der Geschichte. Es gibt jedoch eine ganz andere Serie, die
Anlass zur Hoffnung gibt, dass die deutsche Mannschaft wieder mal einen großen
Coup landen kann. Im vergangenen Jahr gewann sie alles, was die internationale
Hockeybühne zu bieten hatte: das Panasonic-Turnier in Hamburg, den
Azlan-Shah-Cup am WM-Ort Kuala Lumpur und schließlich auch die Champions Trophy
in Rotterdam. Eine imponierende Bilanz von 36 Feld-Länderspielen mit 33 Siegen,
einem Unentschieden und nur zwei Niederlagen steht hinter der 17-monatigen
Strecke zwischen Olympia 2000 und der WM 2002 für die DHB-Auswahl zu Buche. Mehr
als die reinen Ergebnisse (aber die oft spektakulär genug) beeindruckte die Art
und Weise, wie dieser Erfolgskurs eingeschlagen und gehalten werden konnte. Kein
Hockeyexperte auf der Welt, der Deutschland am Ende des Jahres 2001 nicht auf
Position eins einer imaginären bzw. inoffiziellen Weltrangliste
geführt hat.
Ein gutes Omen für die WM? Mag sein, aber ein Automatismus dafür, dass
Deutschland nun auch Weltmeister wird, ist damit in keinster Weise verbunden.
Zuletzt vor vier Jahren gab es eine ganz ähnliche Ausgangsposition:
Vorausgegangen war eine Olympia-Enttäuschung (Platz 4 von Atlanta), dann
ein makelloses Jahr 1997 mit dem Champions-Trophy-Sieg als Sahnehäubchen.
Folglich gehörten die deutschen Herren zu den heißen Anwärtern auf den
WM-Titel 1998. Die Träume starben mit 0:3 gegen Spanien im Halbfinale der
Weltmeisterschaft von Utrecht. Und die ganze schöne davorliegende Siegesserie
(inklusive des bombastischen 5:1-Vorrundentriumphes über den späteren
Weltmeister Niederlande) war Schall und Rauch.
Ein schlechtes Omen für Kuala Lumpur? Mag sein, doch es sind gerade diese
Erlebnisse der Vergangenheit, die den verantwortlichen Bundestrainer und jene
Spieler, die das Hoch und Tief von Utrecht miterlebt haben, nicht zu früh in
Siegeszuversicht schwelgen lassen. "Eine satte Zufriedenheit angesichts unserer
Erfolgsserie" kann Bernhard Peters bei sich und im Kreise seiner Mannschaft
"nicht
feststellen". Der vom DHB im Dezember 2000 zum Nachfolger von Paul Lissek
bestimmte Chefcoach sieht für ein Ausruhen auch gar keine Veranlassung: "Im
Endspiel der Champions Trophy haben wir gegen Australien nur mit viel Glück
gewonnen." Deshalb gelte es, "durch Fehleranalyse und viel Arbeit zu einer
weiteren Optimierung der Leistung" zu kommen.
Bernhard Peters vermeidet es, bei der Rede über Ziele bei der Operation KL 2002
über Platzierungen zu sprechen. Er will stattdessen "die optimale
Leistung aus jedem einzelnen Spieler und der Mannschaft herausholen", ferner
eine "Steigerung im Turnierverlauf" erreichen, mit der "besten Leistung zum
Schluss".
Dies ist quasi auch eine Lehre aus der Vergangenheit. Das Beispiel Utrecht 1998
ist nämlich kein Einzelfall der Hockeygeschichte, sondern fast schon traurige
Normalität. Gerade bei Weltmeisterschaften brachten deutsche Mannschaften in
Alles-oder-Nichts-Spielen oft nicht ihr zuvor gezeigtes volles Leistungsvermögen
auf
den Platz. Die Folge: sieben verlorene WM-Halbfinalspiele. Keine andere Nation
war bei Weltmeisterschaften so konstant unter den Besten dabei, ohne jemals den
großen Wurf gelandet zu haben. Klappt es im zehnten Anlauf?
Nie zuvor ging eine deutsche Mannschaft mit so viel Erfahrung in ein
olympisches Turnier oder eine WM: Im Durchschnitt 130 Länderspiele hat jeder
Spieler "auf dem Buckel" (WM 94: 59 Spiele; WM 98: 100; Olympia 2000: 123),
dabei ist das Durchschnittsalter von 24,6 Jahren kaum höher als in Sydney (24,1)
und sogar etwas niedriger als vor vier Jahren in Utrecht (24,9). Bis auf
Christopher Reitz und Uli Moissl sind alle anderen 14 Sydney-Fahrer noch oder
wieder an Bord, acht blieben vom WM-Aufgebot '98 übrig.
Dass die Mannschaft, die im Kern von Paul Lissek im Vorfeld der
Europameisterschaft 1999 neu strukturiert wurde, "reifer und selbstbewusster" (Lissek)
geworden ist, davon konnte sich ihr einstiger Coach zuletzt in Rotterdam beim
deutschen Gewinn der Champions Trophy überzeugen. Warum Lissek davon ausgeht,
dass Deutschland in Kuala Lumpur erstmals Herren-Weltmeister wird, schreibt er
übrigens in seinem DHZ-exklusiven Gastkommentar.
Die ihr von vielen Seiten zugeschriebene Favoritenstellung scheint die
Peters-Truppe zu akzeptieren. Es macht die Sache zwar nicht angenehmer, "weil
jeder den Favoriten killen will" (Peters), doch ist im vergangenen Jahr bei der
Gegnerschaft auch großer Respekt vor den Deutschen und ihren konstant starken
Leistungen entstanden. Diesen Umstand will sich der Favorit zu nutze machen und
aus einer Position der Stärke heraus mit viel Selbstvertrauen agieren. Das hat
in den vergangenen Jahren niemand besser praktiziert als die Holländer.
Zur hockeyfachlichen Arbeit ist in der Peters-Ära ganz gezielt auch die mentale
Vorbereitung hinzugekommen. Denn spätestens seit dem kuriosen Turnierverlauf von
Sydney weiß nicht nur der Bundestrainer, "dass man die dicken Turniere im Kopf
gewinnt". Mit dem Sportpsychologen Lothar Linz wurde eine
Fachkraft kontinuierlich in den Stab um die Mannschaft hinzugenommen. Wie Linz die zweifellos
zweischneidige Favoritenstellung und die psychologische Situation der deutschen
Mannschaft in Kuala Lumpur beurteilt, beschreibt er in eigenen Worten.
Vor dem Griff nach den Sternen steht jedoch erstmal knallharte Arbeit. Und dies
in mehrfachem Sinn. Die Vergrößerung des WM-Teilnehmerfeldes von 12 auf 16
Nationen, verbunden mit der Rückkehr vom eigentlich beschlossenen Modus mit vier
Vierervorrunden (was im Endeffekt acht Spiele pro Team ausgemacht hätte) zum
alten Schema mit zwei Gruppen, bedeutet Stress pur. Sieben statt bislang fünf
Vorrundenspiele warten auf jede Mannschaft, und erst dann kommen die beiden
alles entscheidenden Platzierungsspiele. Insgesamt neun Partien muss jedes Team
bestreiten, und das in gerade mal 14 Tagen. Und dies alles bei den in Malaysia
vorherrschenden subtropischen Klimabedingungen mit großer Hitze und extremer
Luftfeuchtigkeit. "Sportmedizinisch nicht vertretbar" hält nicht nur der
deutsche Coach die Rahmenbedingungen dieses zehnten WM-Turniers.
Peters und viele seiner Kollegen sowie Spieler und Mannschaftsärzte haben im
vergangenen Jahr beim Weltverband FIH um Einfluss auf die Gestaltung des
Spielplanes gekämpft. Mit ihrer Forderung, dass Spiele entweder nur am frühen
Morgen oder erst nach 18 Uhr angesetzt werden sollen, sind die
Aktiven-Vertreter bei der FIH und den malaysischen Organisatoren nicht
durchgekommen. Sicherlich hat es vor allem logistische Gründe (bei 72 zu
absolvierenden Spielen in zwei Wochen; trotz Nutzung von zwei Plätzen), dass
auch schon um 16 Uhr gespielt werden muss. "Wer zweimal um diese Uhrzeit bei
Temperaturen von über 40 Grad und einer Luchtfeuchtigkeit von 95 Prozent ran
muss, kann den WM-Titel vergessen", lautete eine Peters-Erfahrung vom
Azlan-Shah-Cup 2001. Zum Glück nur einmal steht Deutschland in der Vorrunde
dieses Hitzebad bevor.
Ein gutes Omen? Mag sein. Die FIH hat die Sorgen der Athleten dann doch zum
Anlass für einen Kompromiss
genommen. Anders als bisher wird es den Trainern in Kuala Lumpur erlaubt sein,
in
einer Partie alle 18 Spieler einzusetzen. Im Anschluss an die WM 1998 war den
Mannschaften zwar die Mitnahme von 18 Spielern zu einem großen Turnier
(außer Olympia; da blieb es bei 16) erlaubt, doch mussten immer zwei Spieler die
Partie von der Tribüne aus beobachten. Der Wegfall dieser Beschränkung soll
allerdings nicht zur Regel werden, sondern nur für diese Herren-WM gelten.
Die Sonderregel müsste eigentlich zu einem Vorteil der Deutschen gereichen. Die
gleichmäßige Nutzung des gesamten Spielerkaders praktizierte Bernhard Peters im
vergangenen Jahr sichtlich konsequenter als nahezu alle Kollegen der Weltspitze.
Sicherlich wird es ein Ziel des Bundestrainers sein, durch beständiges
Interchanging die hohe Belastung auf möglichst alle 18 Spieler zu verteilen, um
"die Kräfte nicht zu früh zu verpulvern" und am Ende noch genügend Reserven zu
besitzen. Demgegenüber haben in der Vergangenheit
gerade die Asiaten oft dazu geneigt, von Beginn an möglichst lange mit ihrer
Stammformation durchzuspielen.
Ein gutes Omen für Deutschland? Mag sein, aber Fakt bleibt auch, dass der
Standortvorteil eben doch bei den Asiaten liegt. 1975 bei der WM an gleicher
Stätte gab es mit Indien gegen Pakistan ein rein asistisches Finale, und von
den insgesamt am Klima einbrechenden Europäern (Holland nur Neunter) schaffte es
bloß Deutschland ins Halbfinale.
Der erneute Einzug ins Halbfinale ist ganz eindeutig das erste Ziel, mit dem die
deutsche Mannschaft im 1998 errichteten Nationalstadion Bukit Jalil (für die WM wurde die Kapazität auf 17 000 Zuschauerplätze erhöht) antritt.
Dabei hat sie die von praktisch allen Experten als die schwerere
Vorrundengruppe A erwischt, wo mit Olympiasieger Niederlande und
Rekordweltmeister
Pakistan zwei extrem harte Nüsse zu knacken sind und wo mit Spanien und
Argentinien sowie mit Abstrichen auch Südafrika und Neuseeland gefährliche
Widersacher lauern. Hier einen der ersten beiden Plätze zu belegen, wird eine
ganz heikle Aufgabe.
Wer über ein wenig Erinnerungsvermögen verfügt, dem wird die Ähnlichkeit zur
Gruppengestaltung des Olympiaturniers 2000 auffallen. Da hatte es Deutschland in
der Vorrunde ebenfalls mit Niederlande und Pakistan zu tun. Im Kampf der großen
Drei ist die DHB-Auswahl als Dritter auf der Strecke geblieben, doch verspielt
wurde die
Halbfinalteilnahme nicht gegen die zwei Hauptkonkurrenten (1:1 Pakistan und 2:2 Niederlande
endeten die Duelle), sondern im vermeintlich einfachen letzten Gruppenspiel
gegen die bis dato sieglosen Briten (1:2).
Ein schlechtes Omen? Mag sein, doch diesmal ist die Konstellation ein wenig
anders als in Sydney. Die direkten Duelle gegen Holland und Pakistan stehen als
letzte Gruppenspiele an. Vielleicht ein Vorteil. Auf jeden Fall gilt es, in
den ersten fünf Partien möglichst wenig Punkte liegen zu lassen, um aus einer guten Ausgangsposition heraus die vermeintlichen Spitzenspiele bestreiten zu können..
In der Gruppe B müsste Australien eigentlich sicher ins Halbfinale durchkommen.
Südkorea und Indien sollten die Anwärter auf den zweiten Semifinalplatz sein,
mit England dürfte die obere, bessere Hälfte abgeschlossen sein. Malaysia,
Polen, Japan und Kuba sind wohl die unteren vier und rein der Papierform nach
schwächer als die "Underdogs" der Gruppe A.
Nach halbwegs realistischer Einschätzung kommen für den Gewinn des WM-Titels
2002 nur sechs Teams wirklich in die Auswahl: Niederlande, Pakistan, Australien
und Deutschland auf einer Augenhöhe in Startreihe eins, leicht dahinter Südkorea
und Indien. Spanien, England und Argentinien wären die nächste Stufe. Und sollte
einer der der anderen Sieben den Pokal holen, dann wäre das eine ähnliche
Sensation wie Neuseelands Olympiasieg 1976. Alles ist möglich ist Sport. Warum
nicht auch mal ein Weltmeistertitel für Deutschlands Herren.
Uli Meyer
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